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Nemo ist non-binär – SVP sagt: Gefühle sind nicht Aufgabe des Staates

Swiss Singer Nemo, winner of the 68th edition of the Eurovision Song Contest (ESC), speaks during a press conference after arriving in Zurich, Switzerland, Sunday, May 12, 2024.(KEYSTONE/Walter Bieri) ...
Hat mit dem ESC-Sieg die Debatte über den dritten Geschlechtseintrag wieder ins Rollen gebracht: Nemo.Bild: KEYSTONE
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«Es ist nicht Aufgabe des Staates, Gefühle amtlich zu registrieren» – SVP zur Nemo-Debatte

Nemo ist eine non-binäre Person. In der Schweiz existiert jedoch keine dritte Geschlechtsoption. Lio Brändle vom Transgender Network erklärt: «Mit der Einführung eines dritten Geschlechtseintrags wird niemandem etwas weggenommen» – anders sieht das die SVP.
14.05.2024, 09:0414.05.2024, 12:37
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Mit dem ESC-Sieg von Nemo wurde in der Schweiz die Diskussion um einen dritten Geschlechtseintrag wieder aufs politische Parkett gebracht – wahrscheinlich prominenter denn je. Bestrebungen für diesen Eintrag gibt es schon seit mehreren Jahren, doch rechtlich hat sich bis dato noch nichts getan. Die Situation ist seit jeher unverändert: Im Personenstandsregister gibt es nur «männlich» oder «weiblich».

Das sagt das Transgender Network Switzerland

Für die LGBTQ+-Community ist der Sieg von Nemo ein Lichtblick: «Der Sieg von Nemo ist natürlich für Nemo selbst sehr cool, aber auch für die nicht binäre Community», sagt Lio Brändle vom Transgender Network Switzerland.

Brändle erklärt:

«So wird Sichtbarkeit generiert für Menschen, die bis dato nicht sichtbar waren in der Schweiz. Wir haben lange darunter gelitten. Wir können unsere Geschlechtsidentität nicht im Personenstandsregister eintragen, unsere psychische und physische Gesundheit wird davon sehr stark beeinflusst – im negativen Sinn. Deshalb wird es nun endlich Zeit für eine rechtliche Anerkennung für alle Geschlechtsidentitäten in der Schweiz. In Österreich und Deutschland gibt es diese bereits.»

Das Transgender Network hat mit anderen Akteuren bereits vor dem Sieg von Nemo einen offenen Brief mit Betreff «Break the code! Für die Anerkennung nicht binärer Personen» an Bundesrat und Parlament eingereicht. Die Verfasser des Briefs fordern die Einführung einer dritten Geschlechtsoption und schreiben:

«Für die Schweiz ist dies ein kleiner Schritt. Für alle nicht binären Menschen ein Meilenstein für ein Leben ohne Diskriminierung, in Respekt und Würde.»

Heute, Montag, fünf Tage nach Erscheinen des Briefs, haben ihn bereits über 12'000 Menschen unterzeichnet. Zu den Erstunterzeichnenden gehören unter anderem der SP-Nationalrat Islam Alijaj, die Grüne-Nationalrätin Sibel Arslan und das SP-Co-Präsidium bestehend aus Mattea Meyer und Cédric Wermuth.

Nemo trifft Justizminister Jans

Nun könnte sich an der Situation der non-binären Personen in der Schweiz tatsächlich etwas ändern, denn SP-Bundesrat und Justizminister Beat Jans zeigte sich am Sonntag bereit, Nemo zu einem Gespräch «auch über queere Rechte» zu treffen.

Nemo seinerseits erklärte, sich auf einen baldigen Kaffee mit dem Justizminister zu freuen. Brisant: Noch im Dezember 2022 hatte der Bundesrat in einem Bericht zur Erfüllung zweier Postulate aus dem Parlament klar festgehalten, dass er die Voraussetzungen für die Einführung des dritten Geschlechts als nicht erfüllt erachte.

Was genau Nemo an dem Gespräch mit Bundesrat Beat Jans fordern wird, ist derzeit noch unbekannt. Was meint Brändle vom Transgender Network dazu? «Ich kann nicht sagen, was genau Nemo von Beat Jans fordern wird, aber Nemo hat sich in den bisherigen Interviews stark für den dritten Geschlechtseintrag eingesetzt», so Brändle. «Es ist sehr schön, dass nun endlich über dieses Thema gesprochen wird, denn es braucht mehr Aufmerksamkeit.»

Brändle ergänzt: «Mit der Einführung eines dritten Geschlechtseintrags wird schliesslich niemandem etwas weggenommen.»

Nemo anlaesslich der Feier zum 50-Jahres-ESC-Sieg von Abba, am Donnerstag, 18. April 2024, in der Schwedischen Botschaft in Bern. Nemo vertritt mit dem Song ?The Code? die Schweiz am Eurovision Song C ...
Nemo ist eine non-binäre Person.Bild: KEYSTONE

Das sagt der Bundesrat

Der Bundesrat lehnte im Dezember 2022 eine dritte Geschlechtsidentität im Personenstandsregister ab. Denn die schweizerische Rechtsordnung beruhe «basierend auf einer jahrhundertelangen gesellschaftlichen Tradition» auf dem binären Geschlechtermodell, wie der Bundesrat schreibt. Alle Rechtsnormen würden sich auf die beiden Geschlechter «weiblich» und «männlich» beziehen.

Das sagt Benjamin Fischer von der SVP

Kritik an der dritten Geschlechtsoption gibt es vor allem aus dem rechten Lager. Der SVP-Nationalrat Benjamin Fischer sagt auf Anfrage von watson: «Für die Einführung eines dritten Geschlechts müssten erst alle Unterschiede zwischen Frauen und Männern aus den Gesetzen und Verordnungen gestrichen werden. Etwa bei der Militärdienst- und Schutzdienstpflicht, im Sozialversicherungsrecht bei der Alters- und der Witwenrente, in Fällen von Erwerbsausfall, Arbeitslosigkeit oder Mutterschaft.»

Benjamin Fischer, SVP-ZH, stellt eine Frage waehrend der Debatte um das Verbot von Nazisymbolen waehrend einer Sondersession des Nationalrats, am Mittwoch, 17. April 2024, im Nationalrat in Bern. (KEY ...
Findet, dass es keine Anpassung braucht: SVP-Nationalrat Benjamin Fischer.Bild: KEYSTONE

Jede und jeder sei frei, sich zu fühlen und zu leben, wie er oder sie will, dafür brauche es keine Änderung beim amtlichen Geschlechtseintrag – ergänzt Fischer. Und fügt an:

«Eine Öffnung für ein soziales oder gefühltes Geschlecht macht keinen Sinn, da es sich dabei um ein Spektrum, also um eine nicht abschliessende Anzahl von Geschlechtern handeln soll. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Gefühle amtlich zu registrieren.»
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700 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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eifach-eine
14.05.2024 06:16registriert Januar 2022
Als vor ein paar Jahren diese Diskussionen in den USA losgingen, habe ich mir gedacht, dass die Schweizer Bevölkerung genügend intelligent ist, um zwischen biologischen Geschlecht und der sexuellen Identität zu unterscheiden.

Das biologische Geschlecht ist gegeben und ändert nicht nach Gefühls- und Wetterlage.

Die sexuelle Identität ist was anderes, aber hat im Grundsatz auch niemanden was zu interessieren.

In jedem Artikel, der in den letzten zwei Wochen publiziert wurde zu diesem Thema, scheint dieser Unterschied nicht mehr zu existieren. Sachlich ist anders…
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Jofil
14.05.2024 07:25registriert August 2021
Da muss ich leider als politisch links ausgerichtete „Gay-Person“ der SVP in diesem Punkt Recht geben. Am Schluss ist es nur eine Sache der Identifikation und Gefühlssache. Biologisch gesehen ist man aber immer noch entweder männlich oder weiblich.
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Chillonthehill
14.05.2024 06:51registriert Dezember 2022
Der einfachste Weg weitere Geschlechter anzuerkennen, wäre die radikale Gleichstellung von allen Geschlechter.
Keine Unterschiede mehr bzgl. Militärdienstpflicht, Pensionsalter, Wittwenrenten, Elternschaftsurlaub, Eherecht, usw., auch keine Frauen- oder Männerquoten mehr.
Dann spielt es keine Rolle mehr, wer welches Geschlecht hat, alle hätten die gleichen Rechte und Pflichten. Das biologische "Detail" des Kinder kriegens, könnte man entsprechend behandeln.
Eine Anerkennung würde somit obsolet, da per Definition alle anerkannt wären und die totale Chancengleichheit da wäre.
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